Whistleblower – Wie kann ein Unternehmer im Ernstfall reagieren?
Machtlos gegen Whistleblower? Cambridge Analytica, NSA, Tönnies oder Wirecard. Was haben diese Organisationen gemeinsam? Richtig, alle sahen, oder sehen, sich in Whistleblower-Skandalen verwickelt. Alle haben durch heikle Veröffentlichungen ihren Arbeitgeber in Bredouille gebracht. Zwar sind die Umstände bei näherer Betrachtung individuell verschieden. Und doch stellen sich alle betroffenen Geschäftsführungen die eine Frage: Kann ich gegen den oder die Whistleblower vorgehen? Und wenn ja, wie?
In diesem Blogartikel erfahren Sie als Geschäftsführer, welche rechtlichen Konsequenzen Sie in Betracht ziehen können, sollte es in Ihrem Unternehmen zu einem Whistleblowing-Fall kommen. Dafür erläutern wir zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um Hinweisgeberfälle, um Ihnen das Einordnen Ihres Handlungsspielraums zu ermöglichen. Aufklärung, Vertrauen und Transparenz sind dabei wesentliche Mittel, mit denen Sie sich als Unternehmen in eine starke Position bringen und sich aus der rechtlichen Defensive heraus handlungsfähig machen.
Die Akzeptanz des Whistleblowings
Vermehrte, öffentliche Debatten rund um Hinweisgeberfälle haben in der Vergangenheit das Phänomen des Whistleblowings wiederholt auf die politische Agenda gesetzt. Der Tenor in Debatten und Gesetzesänderungen, beispielsweise dem Geldwäschegesetz, ist dabei eindeutig: Whistleblower haben Anspruch auf Schutz vor Vergeltung (XY 376/2014 2013/54). Die sogenannte EU-Whistleblower-Richtlinie ist der aktuellste und wichtigste Impuls, mit dem die Gesetzgebung diesen Trend fortsetzt. Verabschiedet im November 2019, verpflichtet sie u. a. Unternehmen größer 50 Mitarbeiter zum Einrichten eines Hinweisgebersystems. Im Fokus der Richtlinie stehen EU-weite Schutzregeln für Whistleblower und die Förderung der sachgerechten Übermittlung von Vorfällen, um im übergreifenden Sinn das Unionsrecht zu stärken. Nicht wenigen Geschäftsführern kommt daher die Frage auf: Über welche rechtliche Mittel verfüge ich als Unternehmer im Falle von Whistleblowing?
Schutz für Whistleblower
In der Tat, die EU-Richtlinie erweckt den Eindruck, dass die Mittel seitens des Unternehmens begrenzt sind. Sie definiert genau, welche Personengruppen Anspruch auf Schutz haben. So sind es nicht nur Ihre Mitarbeiter, sondern beispielsweise auch Kunden, Lieferanten und Anteilseigner, die in Artikel 4 der Richtlinie in den Schutzumfang eingeschlossen werden. Sogar Unterstützer der Whistleblower sowie Familienangehörige sollen grundsätzlich Anspruch auf Schutz haben (Art. 4 Abs. 3 lit a,b). Er umfasst allgemein formuliert nämlich alle Personen, die Informationen über Verstöße gegen geltendes EU-Recht in einem arbeitsbezogenen Kontext erlangt haben. Damit erlangen auch Personen Schutzanspruch, die Sie zwar unter Vertrag genommen haben, ihr erster Arbeitstag aber noch aussteht.
Zudem beschreibt die Richtlinie konkret den Schutzanspruch, indem sie normiert, welche Formen der Vergeltung verboten sind. Auch hier ergibt sich ein umfassender Schutz. Die Entlassung oder Freistellung, wie oft assoziiert, sind dabei nur eine von fünfzehn definierten Formen der „Vergeltung“. Darüber hinaus zählen auch Gehaltsminderungen, Arbeitsplatzverlegungen, negative Mitarbeiterbewertungen oder die Verweigerung zur Fortbildung des Mitarbeiters als Vergeltung, welche der Arbeitgeber für den Hinweisgeber verhindern muss (Art. 19 lit. a-o). Das Besondere ist, dass der Schutz vor solchen und weiteren Formen der Vergeltung, wie beispielsweise psychische Schäden, keineswegs auf Ihre Mitarbeiter begrenzt sind.
Machtlosigkeit gegen Schutzansprüche?
Was also tun gegen dieses lückenlos wirkende Bollwerk zum Schutz von Whistleblowern? Im Folgenden lesen Sie, an welchen Stellen die Richtlinie nicht greift, und wie Sie sich als Arbeitgeber mit Maßnahmen positionieren können, um ihr Risiko für rechtliche Auseinandersetzungen und mögliche Schadensersatzzahlungen zu minimieren. Während diese Maßnahmen proaktiver Natur sind, erläutern wir anschließend, welche reaktiven rechtlichen Mittel Ihnen zur Verfügung stehen.
Die EU-Richtlinie etabliert nicht nur Schutzansprüche für Hinweisgeber. Sie legt im gleichen Zug Vorschriften fest, die Hinweisgeber beim Melden zu beachten haben. Was Schutz für den individuellen Hinweisgeber ist, fußt auf einer Reihe an Verhaltensgrundsätzen, welche wiederum Ihrem Unternehmen Chancen zum rechtlichen Vorgehen bieten, falls ein Hinweisgeber unberechtigt an die Öffentlichkeit geht.
Umfang des Whistleblower-Schutzes
Zunächst gilt, der Schutz für Whistleblower ist nicht unbegrenzt, sondern unterliegt neben dem Einhalten von Verhaltensvorschriften auch inhaltlichen Limitationen. So beschreibt die Richtlinie zehn Anwendungsbereiche, etwa Produktsicherheit oder öffentliche Gesundheit, die den Umfang des Schutzanspruchs eingrenzen (Art. 2 Abs. 1 lit. a).
Veröffentlicht ein Hinweisgeber Informationen, die nicht in einen oder mehrere dieser Bereiche fallen, findet die Richtlinie keine Anwendung mehr. Zwar decken diese Bereiche eine Bandbreite an Fällen ab. Jedoch ergeben sich auch Lücken. Umso wichtiger ist es, dass die Anonymität des Whistleblowers gewährleitet ist. Klar wurde das vor Kurzem etwa im Whistleblower-Fall der Tönnies-Kantine. Dort wurde der Mitarbeiterin des Kantine Betreibers gekündigt, nachdem sie ein Video auf YouTube veröffentlichte, was den laxen Umgang der Firma mit den Corona-Schutzmaßnahmen ans Tageslicht brachte. Nicht strafbar? Zieht man den achten Anwendungsbereich, die öffentliche Gesundheit, heran, könnte die Antwort „ja“ lauten. Wohlbemerkt: könnte. Denn die Whistleblower-Richtlinie sieht nicht die Anwendung von Infektionsschutzverordnungen vor, was für eine eindeutige Antwort notwendig wäre.
Perspektivisch liegt es an den Gesetzgebern der EU-Staaten, solche Lücken bei der Umsetzung in nationales Recht zu schließen – oder eben nicht. Für Sie als Unternehmer und Ihren Hinweisgeber folgt daraus: Verstöße außerhalb des Umfangs sind nicht ex ante durch die Richtlinie geschützt. Sprich, nicht alles, was gemeldet wird, qualifiziert die Person per se für den Schutzanspruch.
Eine weitere inhaltliche Voraussetzung für den Hinweisgeber ist, dass es sich um eine zum Meldezeitpunkt wahre Information über einen EU-Rechtsverstoß handelt (Art. 6 Abs. 1 lit.1a). Damit grenzt die Richtlinie jene Meldungen vom Schutzanspruch ab, die nichtig oder unwahr sind.
Verpflichtungen für den Arbeitnehmer: Die Meldekaskade
Abgesehen davon sind für Sie angesprochene Verhaltensgrundsätze relevant, die Hinweisgeber beim Melden beachten müssen. Denn die Medaille hat zwei Seiten: Einerseits den Schutzanspruch des Whistleblowers. Andererseits die Pflicht zum Einhalten dieser Regeln. Letztere sind Voraussetzung für den Hinweisgeber, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Wo dieser die Regeln nicht beachtet, haben Sie als Unternehmer Mittel für rechtliche Konsequenzen in der Hand. Im Wesentlichen geht es um eine Eskalations-Kaskade, welche folgende drei Stufen enthält:
Interne Meldung
Die Richtlinie schreibt als „grundlegendes Prinzip“ vor, dass das Melden von Hinweisen primär durch firmeninterne Kanäle erfolgen soll (Art. 7 Abs. 1,2). Die EU-Staaten sind dazu angehalten, bei der Umwandlung der Richtlinie in nationales Recht den internen Meldeweg als primären Kanal hervorzuheben. Für Sie als Unternehmer gilt, Sie müssen einen internen Kanal zur Meldung von Hinweisen bereithalten (Art. 8 Abs. 1). Dieser kann verschiedene Formen annehmen, beispielsweise auch durch eine designierte Person oder eine Abteilung (Art. 8 Abs. 5). Haben Sie den Hinweisgeber vorzeitig über das Vorhandensein dieses Kanals informiert und garantieren Sie der Person die effektive Bearbeitung der Meldung, entziehen Sie ihr grundsätzlich proaktiv die Rechtfertigung zum Eskalieren in die zweite Stufe, dem externen Melden.
Sie haben noch kein Hinweisgebersystem? Informieren Sie sich über die „Auswahl eines Whistleblowing-Systems“ in unserem Blog.
Externe Meldung
Laut Richtlinie darf der Hinweisgeber auch externe Kanäle zum Einreichen des Hinweises heranziehen. Entweder er tut dies aus eigenem Antrieb direkt, oder es ist zuvor in Eskalationsstufe 1, dem internen Kanal, erfolglos geblieben. Hat der Hinweisgeber nachweislich kein Wissen von dem Vorhandensein interner Kanäle, kann er ebenfalls direkt den externen Kanal nutzen. Wichtig für Sie ist unter allen Umständen: Extern heißt nicht gleich Youtube (siehe Tönnies), Wikileaks (Chelsea Manning), oder The Guardian (Edward Snowden). Statt dessen definiert die Richtlinie die Anforderungen an solche externen Kanale, um eine geregelte Bearbeitung des Hinweises zu ermöglichen. Die EU-Staaten haben ihrerseits dafür Sorge zu tragen, dass „kompetente“ behördliche Stellen zum Melden eingerichtet sind. Wählt der Hinweisgeber versehentlich die falsche Stelle, muss diese dafür Sorge tragen, dass der Hinweis in kurzer Zeit sicher bei der vorgesehenen Stelle eintrifft (Art. 11 Abs. 6).
In Deutschland sollen diese Kanäle durch einerseits sektorspezifische sowie unspezifische Institutionen abgedeckt werden. Erstere bilden nach dem Vorbild der Bafin eine Anlaufstelle für bestimmte Berufsgruppen, wobei diese noch recht alleinstehend ist und weitere Institutionen folgen werden. Sektor-unspezifisch kommen Ämter wie das Gesundheitsamt in Frage, welches für den Fall Tönnies-Kantine der prädestinierte externe Kanal gewesen wäre. Auch der Weg zur zuständigen Staatsanwaltschaft fällt in diese Kategorie.
Konkrete Anforderungen an diese Stellen werden in der Richtlinie ebenfalls spezifiziert, mitunter das Sicherstellen von Vertraulichkeit, Integrität und Vollständigkeit hinsichtlich der eingegangenen Meldung (Art. 12 Abs. 1 lit. a). Darüber hinaus müssen Mitarbeiter solcher Stellen sogar zum Zweck der Sachgemäßen Bearbeitung der Meldung geschult werden (Art. 12 Abs. 5). Sie sehen also: Das Existieren solcher externen Stellen ist im Zweifel vorteilhaft für Sie, denn sie können Missstände so kanalisieren, dass Ihr Unternehmen nicht öffentlich Schlagseite bekommt. Damit stellen sie eine weitere für sie wichtige Form der Deeskalation dar, die sie durch transparente Kommunikation an Ihre Mitarbeiter hebeln können.
Öffentliche Meldung
Das öffentliche Melden stellt die dritte Eskalationsstufe dar. Durch die Multiplikationsfaktoren der Medien und dem gleichzeitigen Interesse der Öffentlichkeit ist sie wohl die prominenteste Stufe. Und das, obwohl sie – in einer idealen Welt – gar nicht zur Anwendung kommen sollte. Denn zum Schutz der Unternehmen behandelt die Richtlinie diesen Weg als „Last Resort“, der laut Definition nur in folgenden Fällen zur Anwendung kommen soll:
- Der Hinweisgeber hat sich bereits dem internen und / oder externen Kanal bedient, aber nicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit Rückmeldung erhalten (Art. 15 Abs. 1 lit. a).
- Der zu meldende Vorfall stellt eine signifikante Gefahr mit irreversiblen Folgen für die Öffentlichkeit dar (Art. 15 Abs. 1 lit. a i).
- Die hinweisgebende Person hat Grund zur Annahme, dass die Meldung nicht effektiv bearbeitet wird oder er in Folge der Meldung Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hat.
Fällt Ihnen etwas auf? Mit Ausnahme von Punkt zwei haben sie direkte Hebel, um dem öffentlichem Whistleblowing vorzubeugen. Abgesehen davon gilt weiterhin, dass die Meldung in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen muss, damit der Hinweisgeber Schutzanspruch erhält. Gehen Sie hier mit nachfolgend geschilderten Maßnahmen auf Nummer sicher, entziehen Sie dem Hinweisgeber die Grundlage für jegliches öffentliches Melden. In der Folge haben Sie, sollte die Person dennoch an die Öffentlichkeit gehen, straf- sowie arbeitsrechtliche Konsequenzen in der Hand. Das Hinweisgebersystem wird dadurch zum Schutzschild Ihres Unternehmens.
Maßnahmen zum Schutz vor Eskalation
Grundsätzlich sollte für beide Seiten, Hinweisgeber sowie Arbeitgeber, klar sein: Eskalation ist vermeidbar. Folgende Maßnahmen Ihrerseits helfen dabei:
Aufklärung
Das effektivste Mittel zum Vorgehen gegen an die Öffentlichkeit gehende Hinweisgeber ist die proaktive und nachweisbare Kommunikation über die von Ihnen angebotenen Meldesysteme. Nachweisbarkeit kann dabei im klassischen Sinne bereits im Arbeitsvertrag des Hinweisgebers sichergestellt werden. Was Whistleblowing seitens eigener Mitarbeiter anbetrifft, schafft also eine Klausel im Arbeitsvertrag Abhilfe, die Ihre Mitarbeiter auf den firmeneigenen Kanal sowie externe Meldestellen aufmerksam macht. Damit schließen Sie das Einfallstor zu Rechtfertigungen für öffentliches Whistleblowing, die auf der Ermangelung eines internen Kanals fußen.
Wie geschildert können Hinweisgeber weitere Personengruppen betreffen. Es empfiehlt sich daher, ihre Verhältnisse zu sämtlichen Stakeholdern zu reflektieren, und im zweiten Schritt das passende Medium zur Kommunikation der Meldekanäle zu wählen. Bei Lieferanten kann das die Liefervereinbarung sein, bei Kunden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bei Bewerbern das Non-Disclosure Agreement.
Vertrauen
Je mehr Sie potentielle Hinweisgeber dazu „empowern“, die vorgeschriebenen Kanäle zu nutzen, desto effektiver gehen sie gegen das öffentliche Whistleblowing vor. Denn Vertrauen in die Kanäle ist das A und O zur tatsächlichen Nutzung. Zudem beugen Sie damit auch der Gefahr vor, dass sich Hinweisgeber mit dem Argument der mangelnden Zuversicht in die Bearbeitung des Hinweises direkt an die Öffentlichkeit wenden. Eine auf Integrität basierende Unternehmenskultur hilft, den Paragraphen im Arbeitsvertrag (oder Ähnliches) zum Hinweis auf vorgeschriebene Meldekanäle Leben einzuhauchen, sodass dieser nicht zu einer ungelesenen Klausel verkommt. Für Hinweisgeber wird er damit greifbar, für Sie zum Fundament für rechtliche Ansprüche gegen den öffentlichen Whistleblower.
Transparenz
Schließlich ist Transparenz im Meldeprozess ein wichtiges Vehikel, mit dem Sie öffentlichen Whistleblowern besagten Wind aus der Pfeife nehmen. Regelmäßiger, direkter Austausch mit dem Hinweisgeber lassen Ihr System von der Glaskugel zum klar geregelten Kommunikationskanal werden. Ihr Hinweisgeber weiß damit, dass die Meldung angemessen bearbeitet wird und er von den weiteren Eskalationsstufen absehen kann. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Richtlinie Fristen etabliert, die Unternehmen bei der Bearbeitung der Meldung einzuhalten haben.
- Sieben Tage nach dem Eingang muss dem Hinweisgeber der Eingang der Nachricht bestätigt werden (Art. 9 Abs. 1 lit. b).
- Drei Monate nach dem Versand der Bestätigung muss der Hinweisgeber Rückmeldung zu seiner Meldung erhalten (Art. 9 Abs. 1 lit. b).
- Wenn sich die internen Investigationen als besonders aufwändig erweisen, wird diese Frist auf sechs Monate ausgeweitet.
Erfüllen Sie diese Fristen, gibt es weiterhin keinen primären Anspruch des Hinweisgebers zum Verlassen dieses Meldekanals, so dass arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen von Ihnen ergriffen werden könnten, sollte er sich doch an die Öffentlichkeit wenden.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen im Fall des Skandals
Was also tun, sollte der Hinweisgeber die Eskalationsstufen nicht wie vorgesehen befolgt haben? Ihr Fokus sollte darauf liegen, genau diesen Fall vorzubeugen. Sollte dies nicht gelungen sein, steht ihnen frei, arbeits- sowie strafrechtliche Konsequenzen einzuleiten, welche im Fall, dass es sich bei dem Hinweisgeber um einen Arbeitnehmer handelt nachfolgend beschrieben werden.
Die Ermahnung
Zunächst bietet sich für Sie im Arbeitsrecht die Möglichkeit, dem Hinweisgeber eine Ermahnung zu erteilen. Während dieses Mittel grundsätzlich in einer Reihe von Fällen in Betracht kommt, dürfte sie im Kontext von Whistleblowing aus folgenden Gründen wertlos sein. Zum einen hat die sogenannte Rügefunktion, mit der dem Arbeitnehmer auf den Vertragsverstoß hingewiesen wird, einen geringen Effekt, da die Praxis nahelegt, dass sich Hinweisgeber dem Verstoß sehr wohl bewusst sind. Zum anderen, weil die Aufforderungsfunktion, die auf das Unterlassen des Verhaltens abzielt, kaum Anwendung findet. Schließlich hat das Gros der Hinweisgeber bei Eskalation an die Öffentlichkeit bereits mit dem Arbeitsverhältnis zum betroffenen Unternehmen abgeschlossen, was eine Verhaltensänderung obsolet macht. Abgesehen davon stellen sich diverse praktische Probleme, sei es etwa die Integration des Hinweisgebers zurück in die Belegschaft und mangelndes Vertrauen der Kollegen.
Die Abmahnung
Bei einer Abmahnung kommt die Warnfunktion hinzu, um den Hinweisgeber vor der Kündigung im Wiederholungsfall zu warnen. Auch diese dürfte als rechtliche Konsequenz wenig helfen. Ob die Ermahnung beziehungsweise Abmahnung dennoch in Frage kommt, können Sie im Wesentlichen mit folgenden zwei Fragen herausfinden:
- Darf mein Hinweisgeber seine Arbeit wiederaufnehmen?
- Habe ich nun Sicherheit, dass der Hinweisgeber künftig jedwede Vorfälle gemäß Richtlinie meldet?
Für den erfahrungsgemäß unwahrscheinlichen Fall, dass sie beide Fragen mit „Ja“ beantworten können, können diese Mittel eine Option sein.
Die Kündigung
Für alle anderen Fälle ist die Kündigung eine weitere Handlungsoption, welche ordentlich sowie außerordentlich erfolgen kann. Während erstere unter Einhaltung vertraglich festgelegter Kündigungsfristen erfolgt, müssen bei letzterer wichtige Kündigungsgründe vorliegen (§ 626 Abs. 1 BGB). Das bewusste, gezielte Verbreiten von internen Informationen in der Öffentlichkeit etwa könnte je nach Auslegung darunter fallen. Spätestens an diesem Punkt ist klar, dass durch den Vorfall und den Hinweis Schäden entstehen. Im besten Fall in Form von Kosten für die Nachbesetzung der Position. Im schlimmeren Fall kommen Kosten durch eine mögliche Klage und Strafzahlungen des Hinweisgebers hinzu; etwa, wenn sich der Kündigungsgrund als gegenstandlos erweist. Darüber hinaus steht ihnen die Schadensersatzklage offen. Diese ist jedoch gerade bei einfachen Arbeitsverhältnissen außerhalb des C-Suite wenig praktikabel.
Bei arbeitsrechtlichen Eskalationen ist die Gefahr des Reputationsschadens nicht zu unterschätzen. Schnell gelangen solche Prozesse an die Öffentlichkeit, wie jüngst der Fall Tönnies oder der Bottroper Apothekerskandal mit langwierigen Auseinandersetzungen vor den zuständigen Arbeitsgerichten zeigen. Bei Diskussionen um den genauen Kündigungsgrund geraten dabei Arbeitgeber im medialen Rampenlicht nicht selten in Erklärungsnot.
Strafrechtliche Konsequenzen im Fall des Skandals
Schließlich bietet sich Ihnen die Möglichkeit, strafrechtlich gegen den Hinweisgeber vorzugehen. Vor einer Strafanzeige jedoch sollten Sie unter intensiver Konsultation Ihrer Rechtsexperten genau abwägen, wie groß Ihre Chancen auf einen gewinnbringenden Prozess sind. Die Frage nach dem „Gewinn“ sollte dabei die Frage nach möglicherweise zugesprochenen Ansprüchen einbeziehen, sowie die Nachrisiken im Prozess. Letztere können durch eine Gegenanzeige des Hinweisgebers für Sie zum Boomerang werden und das Einschreiten der Staatsanwaltschaft nach sich ziehen; etwa im Fall der falschen Verdächtigung oder der üblen Nachrede. Auch hier sind langjährige Auseinandersetzungen charakteristisch, welche Kapital und Ressourcen binden, und nur in seltenen Fällen lohnenswert sind.
Konsequenzen für externe Hinweisgeber
Bei externen Hinweisgebern wie Lieferanten gelten grundsätzlich andere Regeln. Wo es sich um juristische Personen als Hinweisgeber handelt, ist die Beweiskette in der Regel komplexer als für den angestellten Hinweisgeber. Die Konsequenzen decken aber ebenfalls ein Spektrum von schwachen bis hin zu starken Mitteln ab. Erstere kann ein formloses Gespräch sein, in dem der Partner etwa zum sorgfältigeren Umgang mit Geschäftsgeheimnissen ermahnt wird. Demgegenüber steht die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung der Vertragsbeziehung sowie zur Erhebung von Schadensersatzforderungen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Ihr stärkstes Mittel für eine rechtlich starke Position sind ex-ante Maßnahmen, die Sie vor Entstehen eines Skandals ergreifen können. Wie aufgezeigt nehmen hier die extensive Aufklärung sowie Vertrauens- sowie Transparenzmaßnahmen Schlüsselrollen ein. Hinweisgeber erlangen zwar durch die EU-Whistleblower-Richtlinie umfassende Schutzansprüche. Jedoch unterliegt dieser inhaltlichen sowie verfahrenstechnischen Regeln. Haben Sie Ihrerseits alle empfohlenen Maßnahmen getroffen, verlassen Hinweisgeber schnell ihren rechtlichen Handlungsrahmen, wenn sie sich mit ihrer Meldung an die Öffentlichkeit wenden. Ex-post, also nach Entstehen eines Skandals, stehen Ihnen dann aufgezeigte arbeits- sowie strafrechtliche Konsequenzen zur Verfügung. Da diese jedoch selten problemlos ablaufen sowie stets ein Schadensrisiko darstellen, sollten diese Schritte sorgfältig überdacht und vorbereitet sein. Eine grundsätzliche Sorgfalt bei der Umsetzung und Kommunikation Ihres Meldesystems hingegen, sei es durch vertragliche Klauseln oder Informationskampagnen, zahlt sich aus. Getreu dem Motto: „Lieber haben und nicht brauchen, als nicht haben und brauchen“!
Informieren Sie sich über die „Kosten eines Hinweisgebersystems“ und laden Sie sich unseren Leitfaden zur Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes in Ihrem Unternehmen , um zu erfahren, wie Sie kooperativ mit Hinweisgebern zusammenarbeiten können.
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