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Arbeitsrechtliche Perspektive auf das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)

LegalTegrity Rotwang HinSchG Arbeitsrecht

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum HinSchG im Arbeitsrecht

Mariam El-Ahmad, Rechtsanwältin, Partnerin von Rotwang Law

 

Mariam El-Ahmad, Rechtsanwältin (Partnerin), Rotwang Law

Rechtsanwältin Mariam El-Ahmad, Gründungspartnerin von Rotwang Law, beantwortet in diesem Beitrag die wichtigsten Fragen zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) aus Arbeitsrecht-Perspektive. Mariam El-Ahmad war bis zur Gründung von Rotwang Law bei einer der weltweit führenden Wirtschaftskanzleien am Standort Berlin tätig. Sie beriet nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen des Arbeitsrechts und vertrat diese auch vor Gericht. Außerdem arbeitete Mariam El-Ahmad für eine der in Deutschland führenden digitalen Kanzleien im Verbraucherrecht, in der sie Legal Tech im Rahmen der Mandatsbearbeitung einsetzte. Sie kennt daher die Interessen von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen aus eigener Erfahrung.

Eigentlich sollte die Whistleblower-Richtlinie und somit das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) zum Ende 2021 umgesetzt sein. Die EU-Kommission hat wegen der verspäteten Umsetzung auch gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Das Bundesjustizministerium hat nun einen Gesetzesentwurf (Stand: 13. April 2022) veröffentlicht, der voraussichtlich im Herbst, spätestens aber Ende 2022 verabschiedet wird.

Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, Hinweisgebenden Rechtsklarheit zu verschaffen und sie vor Repressalien zu schützen. Bislang ist der Hinweisgeberschutz lediglich durch vereinzelte Rechtsprechung geprägt. Die Gerichte orientieren sich an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und wägen zwischen Meinungsfreiheit und der Pflicht von Arbeitnehmenden zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber den Arbeitgebenden ab. Ein Spagat, der nicht immer leicht zu bewältigen ist.

Das Hinweisgeberschutzgesetz greift die durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze auf, will Orientierung geben, wann und wie Hinweisgebende bei der Meldung oder Offenlegung von Verstößen geschützt sind. Dabei werden Unternehmen nicht unerheblich in die Pflicht genommen.

1. Wer wird geschützt (persönlicher Anwendungsbereich)?

Das Hinweisgeberschutzgesetz schützt natürliche Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen.

Als hinweisgebende Personen (oder auch „Whistleblower„) gelten dabei nicht nur Arbeitnehmende, sondern alle, die verwertbare Informationen „im beruflichen Kontext“ erfahren haben. Das heißt: auch Selbstständige oder ehemalige Arbeitnehmende. Auch auf höchster Ebene wird Hinweisgeben möglich. Das neue Gesetz wird sogar die umfangreichen Verschwiegenheitspflichten von Vorständen und Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften umgänglich machen – auch sie können sich mit Hinweisen direkt an die Meldestellen wenden.

2. Was wird geschützt (sachlicher Anwendungsbereich)?

Um Meldungen „handhabbar zu machen“, wurde der sachliche Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes im Vergleich zu dem Entwurf aus der letzten Legislaturperiode hinsichtlich der Verstöße eingeschränkt.

Der sachliche Anwendungsbereich umfasst Meldungen und Offenlegungen von Informationen über Verstöße, die strafbewehrt sind. Ordnungswidrigkeiten gelten hingegen nur in bestimmten Fällen als meldefähig. Nämlich dann, wenn die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Der Gesetzesentwurf beinhaltet weiterhin einen längeren Katalog, der Verstöße gegen Rechtsvorschriften aus bestimmten Bereichen umfasst. Beispielhaft sind Verstöße gegen Vorschriften aus den Bereichen Umweltschutz, Geldwäsche oder Produktsicherheit genannt.

3. Wie werden Hinweisgebende vor Repressalien geschützt?

a) Vertraulichkeitsgebot

Das Vertraulichkeitsgebot gilt als Grundpfeiler eines effektiven Schutzes hinweisgebender Personen. Die Meldestellen haben daher die Vertraulichkeit der Identität zu wahren. Die Identität darf ausschließlich den Personen bekannt werden, die für die Entgegennahme von Meldungen oder für das Ergreifen von Folgemaßnahmen zuständig sind, oder die diese bei der Erfüllung dieser Aufgaben unterstützen. Das Gesetz sieht jedoch in einigen Fällen Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgebot vor. So etwa in einem Strafverfahren, wenn die Strafverfolgungsbehörde dies verlangt.

b) Verbot von Repressalien

Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind ausdrücklich verboten. Der Gesetzesentwurf definiert Repressalien als Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder eine Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Denkbar sind dabei von der unterbliebenen Beförderung über Mobbing bis hin zur Kündigung.

c) Beweislastumkehr, Schadensersatzanspruch

Der Gesetzesentwurf sieht eine beweisrechtliche Privilegierung zugunsten der Hinweisgebenden vor, nämlich in Form einer Beweislastumkehr. Erleidet eine hinweisgebende Person unmittelbar nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. In diesem Fall hat das Unternehmen, zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte. Gelingt dies nicht, räumt der Gesetzesentwurf einen Schadensersatzanspruch der hinweisgebenden Person vor.

Der Gesetzesentwurf stellt jedoch ausdrücklich klar, dass ein Verstoß gegen das Verbot von Repressalien keinen Anspruch auf ein Beschäftigungsverhältnis, ein Berufsausbildungsverhältnis, ein anderes Vertragsverhältnis oder auf eine Beförderung begründet. Der Schadensersatzanspruch wird sich dann -soweit die Voraussetzungen vorliegen- in den meisten Fällen auf einen Ersatz in Geld richten.

4. Wie werden Unternehmen vor Falschmeldungen geschützt?

Der Gesetzesentwurf sieht Schutzmechanismen und Ansprüche vor, die präventiv, aber auch repressiv gegen Falschinformationen wirken sollen. Im Einzelnen:

a) Öffentlichkeit nur als ultima ratio

Der Hinweisgeberschutz darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass Organisationen oder die Personen, die von entsprechenden Hinweisen betroffen sind, einen Reputationsschaden oder noch drastischere Konsequenzen aus möglicherweise unhaltbaren Anschuldigungen entstehen. Ein entsprechender Passus im Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass die Öffentlichkeit nur als ultima ratio eingeschaltet werden darf. Dies in Anlehnung an die Rechtsprechung, die Arbeitnehmende zur Loyalität und Vertraulichkeit gegenüber ihren Arbeitgebenden verpflichtet sieht. Vor dem Gang an die Öffentlichkeit muss die Angelegenheit von allen Seiten unbedingt vertraulich behandelt werden, um den Arbeitgebenden die Möglichkeit zur Abhilfe zu verschaffen.

b) Kein Identitätsschutz bei Falschmeldung

Nach einer Falschmeldung besteht für Personen, die von der Meldung betroffen sind, ein berechtigtes Interesse daran, Kenntnis über die Identität der meldenden Person zu erlangen. Nicht zuletzt, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Die Identität einer hinweisgebenden Person, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße meldet, soll nicht geschützt sein.

c) Schadensersatz nach Falschmeldung

Wie bereits im vorstehenden Absatz angedeutet, ist die hinweisgebende Person nach einer Falschmeldung zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Denkbar sind z.B. Verdienstausfälle.

d) Ordnungswidrigkeit/Bußgeld nach Falschmeldung

Falschmeldungen werden darüber hinaus auch als Ordnungswidrigkeit geahndet. Mit einem Bußgeld hat die Person zu rechnen, die wissentlich eine unrichtige Information offenlegt.

5. Wie ist das Meldeverfahren ausgestaltet?

Hinweisgebenden Personen stehen mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege zur Verfügung, zwischen denen sie frei wählen können.

a) Interne Meldestellen

Unternehmen mit über 50 Arbeitnehmenden haben interne Meldestellen einzurichten. Auch der Ablauf, wie zu verfahren ist, ist festgelegt:

Die interne Meldestelle…

  • bestätigt der hinweisgebenden Person den Eingang einer Meldung spätestens nach sieben Tagen.
  • prüft, ob der gemeldete Verstoß in den sachlichen Anwendungsbereich fällt.
  • hält mit der hinweisgebenden Person Kontakt.
  • prüft die Stichhaltigkeit der eingegangenen Meldung.
  • ersucht die hinweisgebende Person erforderlichenfalls um weitere Informationen.
  • ergreift angemessene und im Gesetz vorgesehene Folgemaßnahmen.
  • sind grundsätzlich nicht verpflichtet, anonyme Meldungen zu bearbeiten.

b) Externe Meldestellen

Externe Meldestellen sind spezielle Whistleblowing‐Behörden, die als Schnittstelle zwischen den Hinweisgebenden und den staatlichen Ermittlungsbehörden agieren. Ihr Kompetenz- und Handlungsbereich ergibt sich aus unterschiedlichen Regelungen.

Die externen Meldestellen…

  • errichten und betreiben Meldekanäle.
  • prüfen die Stichhaltigkeit einer Meldung und führen das Verfahren durch.
  • bieten natürlichen Personen, die in Erwägung ziehen, eine Meldung zu erstatten, umfassende und unabhängige Informationen und Beratung über bestehende Abhilfemöglichkeiten und Verfahren für den Schutz vor Repressalien.
  • sind grundsätzlich nicht verpflichtet, anonyme Meldungen zu bearbeiten.
  • bestätigen den Eingang einer Meldung umgehend, spätestens jedoch sieben Tage nach Eingang der Meldung. Eine Eingangsbestätigung kann unterbleiben, z.B. aus Schutz der meldenden Person.
  • prüfen, ob der gemeldete Verstoß in den sachlichen Anwendungsbereich fällt und keine Ausnahmen vom Anwendungsbereich greifen.
  • kann nach pflichtgemäßem Ermessen Auskünfte von den betroffenen natürlichen Personen, von dem betroffenen Unternehmen, von Dritten sowie von Behörden verlangen, soweit dies zur Überprüfung der Stichhaltigkeit der Meldung erforderlich ist.
  • kann nach pflichtgemäßem Ermessen
    • betroffene Unternehmen kontaktieren,
    • die hinweisgebende Person an eine andere zuständige Stelle verweisen
    • das Verfahren aus Mangel an Beweisen oder aus anderen Gründen abschließen oder
    • das Verfahren an eine zuständige Behörde zwecks weiterer Untersuchungen abgeben.

Aussicht aus Arbeitsrecht-Perspektive auf das HinSchG:

Viele Unternehmen befürchten erheblichen Reputationsverlust und die Entstehung einer Anschwärz-Kultur durch anonyme Hinweisgebende. Auch wenn das Gesetz auf den ersten Blick allein dem Schutz hinweisgebender Personen dient, profitieren bei genauerer Betrachtung durchaus auch die Unternehmen von den Regelungen. Sie werden über Missstände informiert, von denen die Unternehmensleitung möglicherweise nichts wusste (mehr dazu lesen Sie auch im Beitrag „Hinweisgebersystem als Schutzschild“). Dies, bevor Hinweisgebende die Veröffentlichung -mangels realistischer Alternativen- als vermeintlich einzigen Weg zur Abhilfe wählen. Damit haben Unternehmen die Möglichkeit frühzeitig und ohne Reputationsschaden (sich entwickelnden) Missständen entgegenzuwirken.

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